Meine Plenarrede vom 11.05.2022 – Mehr Lebensmittel produzieren statt Ackerflächen stillegen

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Uns allen ist der Ernst der Lage bewusst. Der furchtbare Krieg in der Ukraine führt zu Not und Leid bei der Bevölkerung. Dies höre ich übrigens momentan auch von einer Stipendiatin, die bei mir arbeitet und deren Familie im Kriegsgebiet lebt. Der Konflikt hat aber auch Auswirkungen auf die globale Versorgung mit Nahrungsmitteln. Das kann auch zu neuen Fluchtbewegungen führen. Wie können wir mit unserer Agrarpolitik darauf reagieren? Soll die Stilllegung von 4 Prozent Ackerflächen 2023 ausgesetzt werden? Sollen wir die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik um ein Jahr verschieben, wie von der Union gewünscht, oder sollen wir es ganz sein lassen und einfach so viel produzieren, wie irgendwie möglich ist?

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wer so argumentiert, denkt zu kurz.

Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik haben wir doch nicht aus ideologischer Verblendung angeschoben. Fakt ist doch, dass Hitzeperioden und Wetterkapriolen zunehmen. Die Niederschlagsmengen in meinem Wahlkreis, also in der Börde und im Jerichower Land, liegen aktuell wieder deutlich unter dem langjährigen Mittel. Wir haben in Sachsen-Anhalt ein echtes Problem mit Wasserknappheit in der Landwirtschaft; der heute hier anwesende Landwirtschaftsminister Sven Schulze wird das sicherlich bestätigen können.

Unsere Landwirtschaft muss sich an den Klimawandel anpassen. Wir brauchen keine einfachen Lösungen, sondern Handlungen mit Augenmaß. Wir brauchen nicht eine kurzfristige Intensivierung, sondern wir brauchen resiliente Ökosysteme. Und das geht nur mit Biodiversität. Hier kommen die Stilllegungsflächen ins Spiel. Sie erfüllen wichtige Funktionen für den Wasserhaushalt sowie als Rückzugsraum für Flora und Fauna. Die 4 Prozent, die ab 2023 stillgelegt werden sollen, sind schon ein extrem heruntergeschraubter Kompromiss. Darauf können wir nicht auch noch verzichten. Wir können Biodiversität nicht einfach an- und abschalten.

Was einmal verschwunden ist, bleibt auf Dauer verschwunden. Übrigens hat sich auch der gerade wiedergewählte Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, auf dem Naturschutztag im November 2021 der Biodiversität verschrieben. Vielleicht haben Sie das nicht mitbekommen, dass es so war, aber er hat davon geredet, dass das wichtig sei. Es wäre gut, wenn das die Unionsfraktion wahrnimmt.

Die Vorteile der Nutzung von Brachflächen verhalten sich disproportional zu den ökologischen Kosten. Im Übrigen sind die meisten Brachen eben nicht ertragsreich, sondern sind Grenzstandorte. Für die Futternutzung sind sie freigegeben. Das ist auch sinnvoll.

Aber für den Getreideanbau wäre ein großer Mehraufwand inklusive Düngung und Pflanzenschutz notwendig. Wir wissen, angesichts der momentanen Düngerpreise ist das illusorisch. Und Brotgetreide wird auf den meisten Flächen nicht produziert werden können. Auch die absolute Größe der Flächen in Höhe von 170 000 Hektar lässt eine wirksame Bekämpfung des Welthungers unrealistisch erscheinen.

Der Fruchtwechsel ist eine entscheidende Maßnahme zur Förderung der Bodenfruchtbarkeit und der Pflanzengesundheit. Auch hier müssen wir mit Augenmaß vorgehen. Auf guten Standorten leidet die Bodenqualität nicht, wenn der Weizen zweimal hintereinander angebaut wird. Deshalb unterstützen wir als Fraktion sehr den Vorschlag von Cem Özdemir, diese Pflicht zum Fruchtwechsel erst mal aufzuheben.

Auf diesem Wege kann man einen schnelleren Beitrag zur weltweiten Weizenproduktion leisten. Das bringt auch deutlich mehr, als Brachen zu nutzen. Auch beim Thema Gewässerrandstreifen kann nachgesteuert werden. Hier müssen wir uns die betroffenen Wasserläufe genauer ansehen und nach deren Bedeutung auch unterscheiden. Wir müssen auch die Ökoregelung ab 2023 noch mal überdenken. Nur wenn zusätzliche Maßnahmen der Landwirte für unsere Ökosysteme auch angemessen honoriert werden, kann die neue GAP funktionieren. Es ist übrigens bezeichnend, dass damals genau das unter Julia Klöckner im Bundeslandwirtschaftsministerium verhindert wurde.

Das war eben für die Landwirte nicht attraktiv. Längerfristig würde eine Umstellung zu mehr pflanzenbasierter Ernährung zu einem verminderten Druck auf die globalen Getreidemärkte führen.

Für mich sind auch eine Reduktion des Fleischkonsums, der Tierbestände, der Lebensmittelabfälle und der Nutzung von Bioethanol in Europa entscheidende Faktoren. So lassen sich der Nachfragedruck auf die globalen Getreide- und Futtermittelmärkte reduzieren und die Preissteigerungen eindämmen. Was uns jetzt nicht hilft, ist ganz klar: kurzfristiges Produzieren um jeden Preis, ohne die ökologischen Folgen zu sehen. Wir müssen jetzt mit Augenmaß handeln.

Ich bitte alle, das mitzuverfolgen. Das werden uns zukünftige Generationen danken. Danke.