Bericht aus der Ukraine

In diesem Beitrag möchte ich meiner Mitarbeiterin Yaroslava die Möglichkeit geben, vom Besuch in ihrer Heimat, der Ukraine, zu erzählen. Denn ich finde, dass wir oft viel zu abstrakt über diesen Krieg reden und viel zu wenig die Betroffenen zu Wort kommen lassen.

 

Zum Bericht:

Mit diesen sehr persönlichen Zeilen, möchte ich meinen bescheidenen Beitrag dazu leisten, Ihre Aufmerksamkeit erneut auf den russischen Angriffskrieg gegen mein Heimatland, die Ukraine, sowie die Gräueltaten der russischen Armee gegen die ukrainische Bevölkerung zu lenken. Es geht aber auch um europäisch geprägte Werte von Freiheit und Demokratie sowie Menschenrechte, welche Russland mit seinem Krieg zu vernichten versucht und für die ukrainische Bürger Leib und Leben einsetzen, auch im Dienste aller Länder der Europäischen Union. Der Krieg dauert inzwischen ca. 9 Monate. Und niemand kann über die schrecklichen Ergebnisse dieses Vernichtungsfeldzuges hinwegsehen. Angesichts des menschlichen Leids, welches dieser Krieg massenhaft erzeugt hat und noch weiter erzeugt, dürfen und sollten wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Mein Name ist Yaroslava Tkachenko, ich komme aus der Ukraine, bin zum Studium und zur Promotion nach Deutschland gekommen und habe in den vergangenen Monaten ein Bundestagsstipendium für ausländische Multiplikatoren im Büro von Frau Dr. Kersten absolviert. Nach meiner Promotion möchte ich gern an einer Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik zum Wohle einer nachhaltigen Verbesserung der internationalen Beziehungen arbeiten.

Ich kann Ihnen aus persönlicher Erfahrung sagen, dass die Ereignisse in meinem Heimatland keinesfalls alltäglich und gewöhnlich sind. Wie alltäglich kann es schon sein, wenn in einem Land zehntausende Menschen durch einen Krieg sterben? Und wie gewöhnlich, wenn Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer auf der Flucht sind?

Ich selbst habe noch Familie in der Ukraine. Und jeden Tag wird mein Heimatland mit Raketen, Drohnen aus iranischer Produktion und anderen schweren militärischen Geräten angegriffen. Als ich unlängst meine Mutter aus Sorge um ihr Wohlergehen besucht habe, haben mich die schrecklichen Zustände in meiner Heimatstadt Poltawa erschüttert. Poltawa liegt in der Ostukraine zwischen Kyiw und Charkiw. Doch der Krieg ist nicht nur in meiner Heimatstadt angekommen. Er ist in der Ukraine allgegenwärtig. Sicherlich haben Sie von den Angriffen auf Kyiw und sogar auf Lemberg ganz im Westen des Landes gehört.
 An so vielen Orten sind Angriffe zu verzeichnen, herrscht Tod und Vernichtung. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass viele Menschen nach wie vor so viel Normalität wie möglich zu leben versuchen. Dass das fast unmöglich ist, können Sie sich sicherlich vorstellen. Die verstärkten Angriffe auf zivile Ziele fordern zahlreiche unschuldige Menschenleben. Wie viele Häuser zerstört wurden, wird man vielleicht auch nach jahrelanger Aufarbeitung nicht korrekt beziffern können, auch nicht, wie viele Menschen getötet wurden. Und diese Menschen sind Eltern und Kinder. Sie sind Ehefrauen, Ehemänner, Schwestern und Brüder, die für ihr schreckliches Schicksal nicht verantwortlich sind. Besonders tragisch ist es, wenn Familien zerrissen werden, Väter und Mütter sterben, leider häufiger auch Kinder. Fast am schlimmsten ist es für mich zu ertragen, wenn Kinder zu Waisen werden und sie ein Leben lang die Folgen dieses Krieges ertragen müssen. Sie werden alleingelassen und können niemals erfahren, was familiäre elterliche Liebe bedeutet.

Viele Menschen sind inzwischen geflohen. Sie leben als Geflüchtete im Ausland und es werden täglich mehr. Deshalb ist der Krieg mit seiner Dimension des menschlichen Leids auch in den Nachbarländern präsent. Die massive mediale Aufarbeitung tut sein Übriges.

Wie wir alle wissen, bröckeln die anfänglichen militärischen Erfolge der russischen Armee. Der Ukraine ist es sogar gelungen, militärstrategisch wichtige Orte zurückzuerobern. Wohl auch deshalb hat die russische Armee in jüngster Zeit massiv Infrastruktur und zivile Ziele angegriffen. Mehr als 30 % der Stromversorgung sind zerstört. Die Wasserversorgung existiert vielerorts nicht mehr, Brücken, Straßen und nicht zuletzt Wohngebäude wurden massiv zerstört. Es wird Jahre dauern, diese Infrastruktur wieder aufzubauen. Die vernichteten Menschenleben jedoch können durch nichts in der Welt ersetzt werden.

All das hat maßgeblich zu den Flüchtlingsbewegungen geführt. Denn die Verteidigungsmöglichkeiten gegen solche Angriffe sind sehr begrenzt. Moderne Waffen finden ihre Ziele auch dann, wenn nachts die Lichter ausgeschaltet werden.

Ein normales Leben ist unter dem ständigen psychischen Druck und inmitten dieser Zerstörungen nur schwer möglich. Und genau das ist das Ziel dieses Aggressors. Er will die Moral der Bevölkerung brechen und damit auch die militärischen Erfolge der Ukraine.

Viele Städte sind zum Teil tagelang ohne Strom. Die Menschen können nicht mehr kochen, die Regale in den Läden leeren sich. Es herrscht Wassermangel und das nicht zur beim Baden oder Geschirrspülen, sondern auch, um den Durst zu stillen.

Derzeit steht der Winter vor der Tür und während die Heizkosten in Deutschland in die Höhe geschossen sind und die Preiserhöhungen den Menschen Probleme bereiten, haben viele Städte und Gemeinden in der Ukraine gar keine Heizmöglichkeiten mehr. Und die ukrainischen Winter sind hart. Darum raten die ukrainischen Behörden den Menschen in Kiew, wenn möglich, die Stadt zu verlassen und den Winter anderswo zu verbringen.

Putin hat seinen Angriffskrieg stets damit begründet, dass er die Nazis in der Ukraine unschädlich machen wollte. Dieser Vorwand ist an Zynismus kaum zu übertreffen.

Aber weil so viele Menschen auf der ganzen Welt verstehen, dass hier nicht nur die Rechte eines souveränen Staates, sondern vor allem unschuldige Menschen angegriffen werden, ist die internationale Solidarität sehr groß. Auch die Hilfen aus Deutschland, militärisch, finanziell und sozial sind enorm. Damit haben wir zu Beginn des Krieges nicht gerechnet, aber sie ist unerlässlich, denn auf dieser Grundlage ist es unseren tapferen Streitkräften möglich, der russischen Aggression standzuhalten. Die Verteidigung der Menschen in der Ukraine und ihres Staatsgebietes wird inzwischen auch als eine Verteidigung der europäischen Werte begriffen. Und die russische Aggression wird immer deutlicher verstanden als ein massiver Angriff auf die europäische Friedensordnung. Wenn wir die Nachrichten anschauen, so ist in aller Regel von Militärhilfen der westlichen Wertegemeinschaft die Rede. Diese Hilfen sind dringlich und unverzichtbar. Genauso wichtig sind aber auch die Hilfen für die Zivilbevölkerung, die so stark leidet. Hier geht es um alle möglichen Hilfsgüter des alltäglichen Bedarfs. Und in der Tat hat es in den vergangenen Monaten zahlreiche Initiativen gegeben, welche unter hohem Einsatz die entsprechenden Güter zum Teil direkt in die notleidenden Gebiete vor Ort geliefert haben. Und das wird auch weiterhin erforderlich sein. Deshalb kann ich Sie nur ermuntern, solche Initiativen zu unterstützen. Helfen Sie den bewährten und seriösen Hilfswerken, die ukrainische Zivilbevölkerung zu unterstützen. Das ist ein Akt der Solidarität mit den notleidenden Menschen.

Lassen Sie mich mit diesem persönlichen und emotional geprägten Erfahrungsbericht auch zum Ausdruck bringen, wie sehr wir Ukrainer dem deutschen Volk und seiner Regierung für die bislang geleistete Hilfe danken. Lassen Sie mich aber auch anfügen, dass der Kampf gegen Diktatur, Unterdrückung und Aggression noch nicht beendet ist. Dieser Kampf ist nur zu gewinnen, wenn wir in Europa solidarisch mit den Menschen in der Ukraine zusammenstehen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.