Liebe Leserinnen und Leser,
nachdem ich vor zwei Wochen gemeinsam mit Kolleg*innen des Umweltausschusses nach Schweden gereist bin, ging es für mich am vergangenen Samstag in die Hauptstadt Südkoreas. Denn ich wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Seoul eingeladen, an einem Programm zum Thema „Erfahrungen mit der deutschen Teilung und Wiedervereinigung“ teilzunehmen und mit verschiedenen Akteuren zu diesem Thema zu sprechen.
Nach einem 11-stündigen Flug von München nach Seoul und mehreren negativen PCR-Tests, erfolgte am Sonntagabend ein erstes Kennenlernen mit Frau Sung Dain und Henning Effner von der FES in Südkorea. Wir sprachen über die aktuellen politischen Entwicklungen in Südkorea. Die beiden erzählten mir, dass das Land am 9. März den konservativen Yoon Suk-yeol zum neuen Präsidenten gewählt hat. Es war wohl ein Wahlkampf, der mit harten Bandagen geführt wurde. Südkorea ist nicht nur außenpolitisch mit vielen Herausforderungen konfrontiert, auch innenpolitisch hat das Land mit der Bewältigung der Covid-19-Pandemie, einer wachsenden sozialen Ungleichheit und enorm hohen Immobilienpreise zu kämpfen. An meinem zweiten Tag besichtigten wir zunächst das Blaue Haus, den Sitz des Staatspräsidenten von Südkorea. Ursprünglich stand hier der 1395 erbaute Gyeonbok-Palast, der mehrmals zerstört und wiederaufgebaut wurde. Mit der Gründung der Republik Korea 1948 wurde einer der alten Gebäude zum Amtssitz des Präsidenten. Dieser Amtssitz war auch Thema des Präsidentschaftswahlkampfes, denn der neu gewählte Yook Suk-yeol will das Präsidialamt vom Blauen Haus in das Gebäude des Verteidigungsministeriums verlagern, denn das Ministerium sei zentraler gelegen und der ehemalige Präsidentenpalast sei ein Symbol der übermäßigen Macht.
Ich fand das namensgebende blaue Dach, aber auch die Verbindung traditioneller koreanischer und moderner Architektur sehr faszinierend.
Am Nachmittag fuhren wir mit dem Minibus zur Straßenkampagne „End the Korean War“. Als Folge des Kalten Krieges wurde die koreanische Halbinsel kurz nach der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft, wie in der Konferenz von Jalta beschlossen, in Nord und Süd geteilt. Nordkorea wurde von der Sowjetunion und Südkorea von den Vereinigten Staaten besetzt. Verhandlungen zwischen den beiden Supermächten über ein vereinigtes Korea blieben ergebnislos und damit etablierten sich wie auch in Deutschland zwei unterschiedliche Staatssysteme. 1950 griffen nordkoreanische Truppen Südkorea an. Ziel war es das Land gewaltsam zu erobern. Der Korea-Krieg dauerte drei Jahre und kostete Millionen Menschen das Leben und trennte unzählige Familien.
Zwar wurde 1953 ein Waffenstillstand von beiden Seiten unterzeichnet. Offiziell beendet ist der Krieg allerdings bis heute nicht. 1991, nach dem Ende des weltweiten Kalten Krieges, einigten sich die Republik Korea (Südkorea) und die Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) auf gegenseitigen Respekt und Nichtangriff. Da der Krieg jedoch offiziell nicht beendet ist, gibt es auf beiden Seiten ein ständiges Misstrauen. Dies erschwert natürlich jegliche Bemühungen einer Wiedervereinigung.
Wir sprachen mit Lee Young-A von People’s Solidarity for Participatory Democracy über Wege, wie man den Konflikt zwischen Nord- und Südkorea beenden könnte. Dialog und Verständigung sind laut Lee Young-A der einzige Weg. Doch dazu müsse der Krieg offiziell beigelegt werden. Darum versucht die internationale Kampagne die Stimmen zu verstärken, die ein Ende des Koreakrieges und einen Übergang vom Waffenstillstand zum Frieden über die koreanische Halbinsel fordern. Mehr als 370 südkoreanische Organisationen der Zivilgesellschaft, religiöse Gruppen, einzelne Unterstützer und mehr als 70 internationale Partnerorganisationen beteiligen sich am Korea Peace Appeal.
Beim Abendessen in einem vegetarischen Restaurant diskutierten wir dann mit Dr. Paik Haksoon, ehemaliger Leiter des Sejong Instituts über die geopolitische Situation Nordkoreas, insbesondere im Spannungsfeld mit Nordkorea, den USA und China. Ich habe an meinen ersten Tagen bereits extrem viel gelernt über dieses Land, das heute noch so geteilt ist, wie wir es einmal waren. Vieles in diesem Konflikt erinnert mich natürlich an meine Erfahrungen mit dem Kalten Krieg und ich freue mich wirklich sehr, dass ich die Gelegenheit habe, diese Erfahrungen auch mit verschiedenen Akteuren Südkoreas teilen zu können.
Der nächste Tag begann mit einer politischen Stadtführung durch Seoul. Die Dimensionen dieser Stadt sind wirklich gigantisch. Seoul hat rund 9,59 Millionen Einwohner. Insgesamt lebt fast die Hälfte der rund 52 Millionen Einwohner Südkoreas in der Metropolregion rund um die Hauptstadt. Man kann sich also vorstellen, wie pulsierend diese Stadt mit ihrer Vielzahl an Sehenswürdigkeiten ist. Während der Führung fällt mir der Mix aus moderner und traditioneller Architektur auf. Egal wo man hinschaut, überall sind riesige LED-Displays montiert, auf denen nonstop Werbevideos laufen. Und noch etwas fällt auf, obwohl die Stadt zu den 10 größten Städten weltweit gehört, ist sie ausgesprochen sauber.
Am Mittag traf ich mich mit Hong Sang Young, dem Generalsekretär des Korean Sharing Movements und mit Yang Doori und Lee Yejung zum Mittag, um über die Nordkoreaprojekte der südkoreanischen Zivilgesellschaft zu sprechen. Mithilfe von Bildungsprojekten setzt sich die Bewegung für eine friedliche Wiedervereinigung zwischen Süd- und Nordkorea ein. Anschließend habe ich mich mit Prof. Kim Sung Kyung getroffen, sie ist Nordkorea-Expertin an der Universität für Nordkorea-Studien. Gemeinsam sprachen wir über die Teilung Koreas und meine Erfahrungen über das Leben in der DDR. Prof. Kim war aber auch sehr an den Themen Erneuerbare Energien und Atomenergie interessiert. Themen, die mir besonders wichtig sind und bei denen ich bei meiner Schweden-Reise vor zwei Wochen viele neue Kenntnisse sammeln konnte.
Am Mittwoch begann in der Bildungsstätte des Wiedervereinigungsministeriums dann das Seminar „Erfahrungen mit der deutschen Teilung und Wiedervereinigung“. In einem ersten Vortrag sprach Paul Werner Wagner über die deutsche Teilung und das Leben in der DDR. Nach der Diskussion erfolgte eine Mittagspause in idyllischer Umgebung. Typisch für die südkoreanische Küche ist der Grill auf der Mitte des Tisches. Das Fleisch wird hier mit der Schere in Stücke geschnitten.
Nach der Mittagspause führte Dr. Ringo Wagner durch den nächsten Themenschwerpunkt: „Von der Friedlichen Revolution zur deutschen Einheit: Politische Entscheidungsprozesse“. Anschließend besuchten wir die sehr gut gemachte, gleichnamige Ausstellung zur Wiedervereinigung. Auf einem Plakat habe ich dann ein Bild einer Straße aus der Stadt Burg entdeckt. Vor Ort habe ich mit den Verantwortlichen der Ausstellung über die Möglichkeiten gesprochen, die Ausstellung im kommenden Jahr in meinen Wahlkreis zu holen.
Am späten Nachmittag folgte dann noch ein interessantes Gespräch mit dem deutschen Botschafter in Seoul, Michael Reiffenstuel.
Am Donnerstag führten wir das Seminar „Erfahrungen mit der deutschen Teilung und Wiedervereinigung“ im Wiedervereinigungsministerium fort. In meinem Vortrag zum Thema „Wiedervereinigungspolitik am Beispiel der Umwelt- und Agrarpolitik“, sprach ich speziell über meine Themen Landwirtschaft, Umwelt und Energie. Anschließend führte Ulrich Mählert von der Bundesstiftung Aufarbeitung über „Konjunkturen der DDR-Aufarbeitung und Vergangenheitsdiskurse“ aus.
Am Freitag trafen wir nach einer weiteren Stadtführung Lee Jaejung, Mitglied der Nationalversammlung in der Demokratischen Partei und bekamen interessante Einblicke über die Rolle des Parlaments für die Förderung von Frieden und Zusammenarbeit auf der koreanischen Halbinsel. Nachmittags folgte ein Gespräch mit dem ehemaligen Wiedervereinigungsminister Kim Yeon Chul über die innerkoreanischen Beziehungen.
Am Samstagmorgen ging es dann zum Flughafen Incheon und damit zurück nach Deutschland.
Es war eine spannende Reise mit vielen verschiedenen Eindrücken in einer atemberaubenden Stadt. In der kommenden Woche folgt dann die letzte Sitzungswoche vor der parlamentarischen Sommerpause.
Die Wiedervereinigung Deutschlands und die damit verbundenen Herausforderungen sind für die Republik Korea von besonderem Interesse und ich bin überzeugt davon, dass der diesbezügliche Erfahrungsaustausch einen wesentlichen Beitrag auf der Suche nach einem eigenen Weg zur koreanischen Wiedervereinigung leisten kann.